Kongolesische Perspektiven, urbane Szenen und globale Netzwerke

Eigentlich hätten zehn Künstler*innen, ein Kunstkritiker und zwei Kurator*innen aus Kinshasa, Lubumbashi und der kongolesischen Diaspora im Juni 2020 nach Erlangen reisen sollen, um dort an der Ausstellung „Populäre Bilder“ im Rahmen des Internationalen Comic-Salons Erlangen teilzunehmen. Da der Comic-Salon und damit alle Reisen aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden mussten, wurde die Ausstellung auf den nächsten Internationalen Comic-Salon 2022 verschoben – und dieses Projekt entwickelt, das mindestens bis zu diesem Zeitpunkt als digitale Plattform einem experimentellen künstlerisch-kulturellen Austausch dienen soll.

Ansatz

Der konzeptionelle Ansatz des Projekts legt großen Wert darauf, die individuelle künstlerische Position und Arbeitsweise der eingeladenen Künstler*innen hervorzuheben und diese zu präsentieren. Ausschlaggebend für die Auswahl und die damit einhergehende Kollektivierung der eingeladenen Künstler*innen ist ihre geographische Herkunft, mit der kulturelle Einflüsse verbunden sind, die in den künstlerischen Produktionen nicht selten in technischer, ästhetischer und erzählerischer Hinsicht aufeinander verweisen. In diesem Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv will dieses Projekt mittels einzelner multimedialer Beiträge versuchen, innovative und anschlussfähige Perspektiven, Denkansätze und Narrative für ein möglichst internationales Publikum zu entwickeln.

Ausrichtung

Dieses Projekt unternimmt den Versuch, einen vielschichtigen und offenen Diskurs zu fördern, der kunsttheoretische Attribute wie beispielsweise die künstlerische Intention, das Material, die bildnerischen Mittel und Narrative sowie viele weitere Aspekte des künstlerischen Schaffens miteinander verbindet. Daher liegt der Fokus auf der individuellen Diversität, auf verschiedenen Standpunkten sowie dem künstlerischen Aspekt von Comics im Allgemeinen.

Dabei soll der Bezug zwischen zeitgenössischer Kunst und zeitgenössischem Comic hergestellt und die Schnittstellen zwischen Kunst und Comic aufgezeigt werden – mit dem Anspruch, künstlerische Aspekte der präsentierten Arbeiten zu unterstreichen. Folglich sollen nicht nur klassische, graphische Formen des Comics gezeigt werden, sondern insbesondere deren multimediale Variationen, wie sie in der Malerei, der Animation und der Karikatur umgesetzt sind. Dies soll nicht zuletzt zu dem Diskurs über „High Art“ und „Low Art“ beitragen, der die Gefälle der Wertzuschreibungen im Kunstsystem genauso reflektieren will wie die Deutungsmacht verschiedener sozialer Systeme – was schließlich zu einer Reflektion über die historischen und gegenwärtigen Konstruktionen von Macht, Herrschaft und ihren Hierarchien führen kann.

Position

Mit der Präsentation dieser Medien geht folgerichtig eine kritische künstlerische Position einher, die sich mit postkolonialen Strukturen in der zeitgenössischen Kunst und Kulturrezeption auseinandersetzt. Bisher nämlich wird die kongolesische Kunst im Allgemeinen und speziell der Aspekt des Populären in der Malerei und den Comics in Europa häufig nur unter soziologischen und ethnologischen Gesichtspunkten rezipiert: „Afrikanische, bildende Kunst wird oft unterschätzt und als Artefakt ohne künstlerischen Wert gesehen, weil sie sich nicht in die Klassifizierungssysteme der westlichen Kunst einordnen lässt.“ (Jean Kamba, Kunstkritiker)

Die afrikanische künstlerische Arbeit wird dieser Perspektive nach als ein repräsentatives Medium zur Darstellung eines Landes, einer Gesellschaft, eines sozialen Systems wahrgenommen – und weniger als künstlerisches Medium hinterfragt, auf Ebenen der Analyse kulturspezifischer Techniken, Prozesse und Bedeutungsebenen, so wie beispielsweise Kunst aus Deutschland durch die Wissenschaften in Deutschland interpretiert wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Gesellschaften in Europa durchdrungen sind von der Überzeugung, der Ursprung zivilisatorischer Entwicklung und humanistischen Denkens zu sein, und folglich weithin annehmen, die maßgebliche Deutungshoheit über alle Vorgänge in der Welt zu besitzen. Dieses Projekt will solchen Ideologien konstruktiv begegnen, sowohl mit wissenschaftlichen als auch künstlerischen Argumenten.

Perspektive

Der Titel des Projekts „Populäre Bilder“ bezieht sich auf die Ausrichtung der ausgewählten Künstler*innen hin zu einer Bildproduktion, die gesellschaftliche Diskurse einem breiten Publikum zugänglich machen will und dementsprechend populär ausgerichtet ist. Der Begriff und das Konzept des Populären bezieht sich hier auf eine spezifische Art der Bildproduktion: Diese „populäre“ Arbeitsweise ist gekennzeichnet von besonderen kollaborativen Prozessen, die als künstlerische Strategie den direkten Austausch zwischen Publikum und Künstler*in und zugleich das gemeinsame Arbeiten an einem künstlerischen Werk zum Ziel hat. So werden beispielsweise in Kinshasa gemalte Bilder, gedruckte Comics oder großflächige Wandgraffiti im urbanen Raum von den Künstler*innen präsentiert, um direkt von einem zufälligen Publikum diskutiert und kommentiert zu werden. Die Künstler*innen reagieren auf diese Kommentare in ihrer nächsten künstlerischen Produktion, die wiederum in direktem Austausch zwischen Publikum und den Künstler*innen weiterentwickelt wird.

Der Comic zeigt sich folglich im Kontext dieses Projekts als diskursives Medium, das in seiner Popularität aus den Bedürfnissen der Bevölkerung selbst entsteht, das Wissen und Denkweisen reinszeniert, und an dessen Reflexion und Weiterentwicklung alle teilhaben. Die Bildinhalte spielen dabei mit zeitgenössischen Realitäten, forcieren und reflektieren Gesellschaft, und stellen Verhaltensmuster, traditionelle Rollenverteilungen und politische Handlungen infrage. Die Bilder und Comics sind Kommunikationsmedien, die soziale Prozesse initiieren und zugleich Geschichten sammeln und historische Ereignisse dokumentieren. Diese Strategie der kollektiven Wissensproduktion soll in diesem Projekt angewendet werden und zu einer dekolonialen Kollaboration beitragen, die entgegen des Bewertungsschemas der europäischen Kunstgeschichtsschreibung differenzierte Perspektiven auf Kunst, Kunstwerk und Künstler*in im Sinne einer epistemologischen Pluralisierung ermöglichen soll. In dem globalen Zeitalter und wissenschaftlichen Erkenntnissen nach sind eindeutige Wahrheitsdispositive und Identitätskonstruktionen in ihrer Logik schwerlich haltbar. So sind auch alle beteiligten Künstler*innen in lokale Zusammenhänge eingebunden, die wiederum von globalen Zusammenhängen beeinflusst sind, welche allesamt in der Kunstproduktion ineinander aufgehen.

Autor- / Kurator*innen: Mukenge/Schellhammer
Redaktion: Stefan Becker
Beraten durch: Marian Kaiser, Jean Kamba